Mut
Nora Hespers
Noras Opa Theo wurde von den Nazis ermordet.
Nora wächst mit dieser Geschichte auf: Die Nazis haben Opa Theo erhängt. Ihr Vater Dirk erzählt es immer wieder. Und Dirk singt Lieder. Widerstandslieder!
Als Kind liebt Nora das Lied Mein Vater wird gesucht. So richtig versteht sie den Text nicht. Aber sie weiß, dass das Lied für ihre Familie wichtig ist. Ihr Vater Dirk ist selten für sie da. Er will das Andenken an Opa Theo weitertragen. Dirk ist dabei oft so laut, so aufdringlich beim Erzählen dieser Geschichte. Nora ist das manchmal peinlich.
2012: Nora ist jetzt Journalistin. Plötzlich wird sie auf ihren Großvater angesprochen. Opa Theo hat sogar einen Wikipedia-Eintrag! Nora beginnt zu forschen. Sie liest Verhörakten, produziert einen Podcast und schreibt ein Buch. Und sie spricht mit ihrem Vater. ‘Dieser Mord, der an seinem Vater passiert ist, dieser politische Mord, hat eben Nachwirkungen bis zu mir.’ Sie nimmt Kontakt mit ihrer eigenen Familiengeschichte auf.
- Hör Dir das Widerstandslied Mein Vater wird gesucht an. Einmal singt es Nora und einmal ihr Vater Dirk!
- Schau Dir an, was Nora über Widerstandslieder und das Lied Mein Vater wird gesucht, zu sagen hat.
„Diese Widerstandslieder hatten eine große Bedeutung für den Widerstand an sich, weil sie Hoffnung gaben.“
Nora Hespers
Mein Vater wird gesucht
Text: Hans Drach, Musik: Gerda Kohlmey
Mein Vater wird gesucht,
er kommt nicht mehr nach Haus.
Sie hetzen ihn mit Hunden,
vielleicht ist er gefunden
und kommt nicht mehr nach Haus.
Oft kam zu uns SA
und fragte, wo er sei.
Wir konnten es nicht sagen,
sie haben uns geschlagen,
wir schrien nicht dabei.
Die Mutter aber weint,
wir lasen im Bericht,
der Vater sei gefangen
und hätt‘ sich aufgehangen,
das glaub‘ ich aber nicht.
Er hat uns doch gesagt,
so etwas tät‘ er nicht.
Es sagten die Genossen,
SA hätt‘ ihn erschossen
ganz ohne ein Gericht.
Heut‘ weiß ich ganz genau,
warum sie das getan.
Wir werden doch vollenden,
was er nicht konnt‘ beenden
und Vater geht voran!
Theodor Hespers
1903-1943
Theo lebt in Mönchengladbach. Er ist Mitglied im Quickborn, einem katholischen Jugendbund. Mit der Kirche hat er nicht viel am Hut. Er wünscht sich eine Welt, in der Gleichberechtigung herrscht. Er ernährt sich gesund, trinkt keinen Alkohol und er ist gegen das Naziregime.
1933 flüchtet Theo gemeinsam mit seiner Frau Käthe und seinem 2-jährigen Sohn Dirk in die Niederlande. 10 km hinter der deutsch-niederländischen Grenze baut Theo ein Lebensmittelgeschäft auf. Statt Zigaretten und Alkohol gibt es Säfte, Vollkornbrot … und Widerstandszeitungen! ‘Das Häuschen ist ein Umschlagplatz für illegale Zeitungen, Zeitschriften und Flugblätter. Die werden von dort aus nach Deutschland geschmuggelt.’
Mit der Zeitschrift Kameradschaft kämpft Theo aus dem Exil gegen die Nazis. 1942 wird er von der Gestapo in Antwerpen verhaftet. Immer wieder wird er verhört und gefoltert. Er soll Namen preisgeben. Am 9. September 1943 wird Theo Hespers in der zentralen NS-Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee erhängt. Dort werden in den sogenannten ‚Blutnächten von Plötzensee‘ zwischen dem 7. und 10. September 1943 mehr als 250 Menschen ermordet.
- Willst Du noch mehr über Theo Hespers erfahren? Dann hör Dir Noras Podcast Die Anachronistin an.
„Ich hatte mir so viel Hoffnungen vom Leben gemacht, soviel Gutes und Schönes wollte ich nach dieser schweren Zeit mithelfen und endlich mal wieder ein voller Mensch sein können.“
Theo Hespers, Brief an die Mutter vom 6.8.1942
Dirk Hespers
1931-2018
Dietrich ist 2 Jahre alt, als er mit seinen Eltern Theo und Käthe vor den Nazis in die Niederlande flieht. Er lernt Niederländisch. Ab jetzt heißt er Dieter, kurz Dirk, das klingt weniger deutsch.
1940 besetzen die Nazis die Niederlande. Die Familie flieht weiter nach Belgien. Als 1942 der Vater und kurze Zeit später auch die Mutter verhaftet werden, bringt die NS-Frauenschaft Dirk zurück nach Deutschland zu Verwandten. Mit 12 Jahren kommt er in ein Land, dessen Regime seine Eltern gefangen hält. Er muss in die Hitler-Jugend eintreten.
Auch nach dem Krieg gilt sein ermordeter Vater in der BRD als Hochverräter. Dirk setzt sich sein Leben lang für das Andenken seines Vaters ein. Er singt Widerstandslieder und hält Vorträge.
- Hör Dir das Widerstandslied Mein Vater wird gesucht an. Einmal singt es Dirk und einmal seine Tochter Nora!
„Mein Vater wird gesucht!“
Dirk Hespers
Shlica Weiß
Die Geschichte der Verfolgung von Sinti:zze und Rom:nja im NS soll endlich in den Köpfen der Menschen ankommen.
Das ist dem Großvater von Shlica Weiß sehr wichtig. Shlica ist die Enkelin von Egon und Lajana Mettbach.
Egon und Lajana wurden als Kinder zusammen mit ihren Familien am 20. Mai 1940 von der Hamburger Kriminalpolizei vom Hannoverschen Bahnhof in das Zwangsarbeitslager Belzec deportiert. Die Familie wird in unterschiedliche Lager weiter verschleppt. Viele werden ermordet.
„Jeder Mensch will doch in Freiheit leben.“
Shlica Weiß
Shlicas Großeltern überleben mehrere Konzentrationslager und kehren nach Kriegsende nach Hamburg zurück. Shlica wächst mit dieser Familiengeschichte auf. Mit dem Verlust und der Trauer. Aber auch mit dem Stolz auf ihre Großeltern, ihre Onkel, Tanten, ihre Mutter sowie ihren Mann und Kinder. Das sind für Shlica echte Kulturretter:innen. Sie geben die Sprache Romanes weiter, sie treffen sich zum gemeinsamen Essen. Sie teilen Erinnerungen, Erfahrungen und geben Rat.
Mer kekhne
Wir zusammen – Ein Empowerment-Projekt
Shlica trägt als Sozialpädagogin, Kinderbuchautorin und Filmemacherin die Geschichte von Sinti:zze und Rom:nja weiter.
Und sie berichtet über Antiziganismus bzw. Rassismus gegen Sinti:zze und Rom:nja, den viele täglich erleben. Das höchste Gut ist für Shlica das kulturelle Familienleben. Ihr Mann trägt dazu durch seine Karriere als Musiker und die Weitergabe des Sinti-Jazz bei.
Shlica erzählt aber auch von der Erfolgsgeschichte der Rom:nja und Sinti:zze Community, von ihrem Kampf für ihre Rechte und Anerkennung. Mit dem Projekt Mer kekhne – Wir zusammen schafft Shlica Räume, in denen sich alle auf Augenhöhe begegnen und Aufklärung erfahren, sodass Vorurteile abgebaut werden können.
- Schau Dir die beiden Videos an und erfahre mehr über das Projekt Mer kekhne – Wir zusammen und über den anhaltenden Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze.
- Schau Dir den Empowermentfilm Nicht von schlechten Eltern an und erfahre mehr über erfolgreiche Sinti:zze und Rom:nja.
Einfach an Türsteher:innen vorbei und zur Party? Für viele Sinti:zze und Rom:nja funktioniert das so nicht.
Wahre Gründe werden häufig nicht genannt. Es heißt dann: Schon voll! Heute nicht! Geschlossene Gesellschaft!
Das mach etwas mit Menschen. Es macht wütend, frustriert, es ist ungerecht und falsch!
Häufig werden Sinti:zze und Rom:nja von einer oder einem Ladendetektiv:in beobachtet.
Der Vorwurf: Diebstahl. Das hinterlässt bei vielen Betroffenen tagtäglich Frust, Wut und ein tiefes Gefühl der Ungerechtigkeit.
Sinti:zze und Rom:nja sind auch in der Schule Antiziganismus ausgesetzt.
Trotz gleicher Leistung, werden Kinder & Jugendliche der Sinti:zze und Romn:ja-Communities oft schlechter benotet.
Diese Rassismus-Erfahrungen sind oft ein tiefer Einschnitt.
Der Rassismus, den Sinti:zze und Rom:nja bei der Wohnungssuche erfahren, zählt zum strukturellen Antiziganismus.
Die ohnehin schon schwierige Wohnungssituation wird dadurch zu einem großen Problem.
Gertrud Koch
Getrud ‚Mucki‘ Koch (1924-2016) und die Gruppe Edelweiß
1933, Hitler kommt an die Macht. Gertrud ist 8 Jahre alt und lebt in Köln. Ihre Eltern sind Kommunist:innen. Ihr Vater kämpft vergeblich gegen den Aufstieg der Nazis. 1942 wird er im Lager Esterwegen ermordet.
Als Tochter eines Kommunisten muss Gertrud mit 14 Jahren die Schule verlassen. Sie weigert sich, in die Hitler-Jugend einzutreten. Gertrud geht in den Widerstand, ihr Deckname ist ‚Mucki‘. Mit Freund:innen gründet sie die Gruppe Edelweiß. Sie lieben die Natur, wandern, singen und sie sind gegen Hitler!
Ab 1935 befindet sich im EL-DE Haus eine Gestapozentrale. Im Keller gibt es einen Gefängnistrakt. Menschen werden dort eingesperrt, verhört und gefoltert.
Heimlich legen die Mitglieder der Gruppe Edelweiß Flugblätter auf den Domplatz, an Taxistände. Einmal schaffen sie es, Flugblätter aus der Kuppel in die große Halle im Kölner Hauptbahnhof fliegen zu lassen*: ‘Deutsche Bürger, passt auf! Hitler ist unser Unglück!’ steht darauf.
1939: Ab jetzt müssen alle Jugendlichen Mitglied der Hitler-Jugend sein. Es gibt aber auch junge Menschen, die keine Lust haben auf militärischen Drill, Marschmusik und Uniformen. Als Gegenkultur bilden sich die ‘Swing-Jugend’, ‘Navajos’, ‘Edelweißpiraten’ und viele mehr.
Die Gruppe Edelweiß kämpft für Selbstbestimmung und gegen das Nazi-Regime. Unangepasste Jugendgruppen werden immer wieder von der Hitler-Jugend angegriffen. Auch die Gestapo geht gegen sie vor. Sie werden verhaftet und zum Teil gefoltert. Manchmal werden sie sogar ermordet.
1942 wird auch Gertrud verhaftet und ins EL-DE Haus gebracht. Die Männer der Geheimen Staatspolizei verhören sie und schlagen ihr immer wieder auf den Kopf. Sie wollen Namen und Adressen erfahren. Aber Gertrud verrät niemanden.
Mit mehreren Mädchen sitzt sie in einer Zelle. Nach 3 Tagen bekommt sie etwas zu essen: Wassersuppe. 6 Wochen später wird Gertrud ohne Begründung entlassen. Eine weitere Verhaftung folgt.
1944 taucht Gertrud mit ihrer Mutter unter. Sie verstecken sich auf der Schwäbischen Alb.
Untereinander haben die Gruppen eher losen Kontakt. Am 10. November 1944 ist Gertrud noch einmal kurz in Köln*. Sie muss mit ansehen, wie 6 Jungen und 7 junge Männer einer ‚illegalen‘ Gruppe aus Ehrenfeld öffentlich auf der Straße von der Gestapo erhängt werden. Das jüngste Opfer, Günther Schwarz, ist gerade mal 16 Jahre alt.
1945, die Alliierten haben die Nazis besiegt, der Krieg ist vorbei. Gertrud kehrt nach Köln zurück. Sie bleibt ihr Leben lang widerständig und setzt sich für Menschenrechte ein. Mit dem Herzen bin ich immer noch das, was ich gewesen bin. Wenn heute jemand sagt ‚Du musst was im Widerstand tun!‘ – das würd’ ich wieder tun.
- Sieh Dir hier das ganze Interview mit Gertrud an.
„Das Volk muss wissen, was auf uns zukommt!“
Gertrud Koch